Episode 11: Unsterblichkeit

Podcast: Bücher im Gespräch

Erschienen: 18.10.2022
Dauer: 00:49:10

Tatjana Petzer spricht mit Martin Treml über die von ihr herausgegebene Anthologie »Unsterblichkeit. Slawische Variationen« (Matthes & Seitz 2021). ———————— In den gegenwärtig hitzig geführten Diskussionen um Trans- und Posthumanismus ist das Thema Unsterblichkeit geradezu allgegenwärtig. Im Vordergrund stehen dabei zumeist US-amerikanische und westeuropäische Autoren und Konzepte, slawischsprachige Perspektiven sind außerhalb von Fachkreisen kaum bekannt. Dabei gibt es in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, Mittel- sowie Südosteuropas seit Ende des 19. Jahrhunderts lebhafte Diskussionen und Versuche, das menschliche Leben potentiell unendlich zu entgrenzen. Die von Tatjana Petzer herausgegebene Anthologie zu »slawischen Variationen« der Unsterblichkeit stellt eine Auswahl dieser Positionen teils in deutscher Erstübersetzung vor, in deren Zusammenschau über Landes- und Disziplinengrenzen hinweg Gemeinsamkeiten und Verflechtungen sichtbar werden. Ist von Unsterblichkeit die Rede, sind metaphysische Überlegungen zum Nachleben häufig nicht weit. Die in der Anthologie versammelten Texte eint jedoch, dass sie Unsterblichkeit zuvorderst als physisches Phänomen betrachten, das mit den Mitteln der Naturwissenschaft erklärt bzw. erreicht werden kann. Biologen, Mediziner und Physiker, aber auch Schriftsteller und Publizisten entwickelten im Laufe des 20. Jahrhunderts verschiedene ›Unsterblichkeitstechniken‹, mit deren Hilfe sie den Tod zu überwinden hofften. Während der Physiker und Experimentalbiologe Porfiri Bachmetjew dabei auf die Anabiose, das Einfrieren des Organismus und sein Wiederauftauen bei günstigeren Bedingungen setzte, strebte die Kybernetik, im Band wissenschaftlich durch Tanju Kolew, in literarischer Form durch Stanisław Lem vertreten, eine Überwindung des biologischen Körpers mittels Informations- und Transplantationstechnik an. In den literarischen Entwürfen Stanislav Vinavers und Andrej Platonows wiederum soll die Elektrizität den Tod besiegen, wie es auch in Lenins Ausspruch »Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des Landes« anklingt. Neben der individuellen stand im sowjetischen Diskurs stets auch die soziale Unsterblichkeit des Kollektivs zur Debatte, die ihre Form in der mit der russischen Revolution plötzlich erreichbar scheinenden kommunistischen Zukunftsgesellschaft neuer Menschen finden sollte. Deutlich tritt hier insbesondere bei Platonow die Spannung zutage, die sich zwischen dem befreienden Potenzial der Unsterblichkeit und der unendlichen Arbeit auftut, die mit ihr einhergehen kann. Dem unsterblichen Körper droht jedoch nicht nur die unendliche Ausbeutung seiner Arbeitskraft, sondern auch unsägliche Langeweile, vom Immunologen Ilja Metschnikow auf den Begriff der Lebenssättigung gebracht. Juristische Probleme bleiben ebenso wenig aus: Gibt es eine Pflicht zu leben? Und wie steht es, ist der natürliche Tod einmal abgeschafft, um gegenwärtig umstrittene Fragen wie die von Suizid und Sterbehilfe? ———————— Die Literaturwissenschaftlerin und Slawistin Tatjana Petzer leitete am ZfL von 2010 bis 2021 als Dilthey-Fellow das Projekt »Wissensgeschichte der Synergie«. 2019 wurde sie an der Universität Zürich mit einer Arbeit zu Figurationen des Synergos in der slavischen Moderne habilitiert. Seit 2017 hatte sie mehrere Vertretungsprofessuren an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg inne. Der Religionswissenschaftler und Judaist Martin Treml ist seit 2000 am ZfL tätig, zuletzt mit dem Projekt »Aby Warburg und die Religionskulturen«. Seit September 2020 hat er eine DAAD-Gastprofessur für Religionskulturwissenschaft an der Staatlichen Ilia-Universität in Tbilissi inne. www.zfl-berlin.org


Weitere Informationen und umfangreichere Shownotes gibt es ggf. auf der Podcast-Website.

Podcast-Website: Episode "Episode 11: Unsterblichkeit"

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