Episode 6: Übergänglichkeit der Natur

Podcast: Bücher im Gespräch

Erschienen: 12.11.2021
Dauer: 00:59:47

Hanna Hamel (ZfL) spricht mit Oliver Grill (LMU) über ihr Buch »Übergängliche Natur. Kant, Herder, Goethe und die Gegenwart des Klimas« (Berlin: August Verlag 2021). In ihrem Buch »Übergängliche Natur« versucht Hanna Hamel zu klären, was sich unter übergänglicher Natur verstehen lässt. Dabei legt sie nicht nur das aufklärerische Erbe zeitgenössischer Positionen offen, sondern lenkt den Blick vor allem dorthin, wo das Verhältnis von Natur und Kultur in den Texten des 18. Jahrhunderts – entgegen der gängigen Lesart von deren strikter Trennung – als ein ineinander verschlungenes erscheint. ———————— Im Gespräch mit Oliver Grill – Autor von »Die Wetterseiten der Literatur. Poetologische Konstellationen und meteorologische Kontexte im 19. Jahrhundert« (Paderborn: Wilhelm Fink 2019) – erweist sich Goethes Witterungslehre als besonders prägnanter Ort, an dem sich das vermeintlich beständige Klima und das wechselhafte Wetter begegnen. Beider Anliegen ist es, durch ein Recycling des historischen Theoriefundus und eine kritische Distanznahme zur ethischen Aufladung der Diskurse um Klima und Wetter im Anthropozän Räume und Wege für ein notwendiges Umdenken zu schaffen. Liest man mit Hamel die drei Kritiken Immanuel Kants im Zusammenspiel mit seiner Anthropologie wird beispielsweise deutlich, dass der Mensch bei ihm viel stärker lokalisiert ist, als gemeinhin angenommen. Auch Kants Erkenntnistheorie erhält somit einen historischen Index, worin eine überraschende Nachbarschaft zur Begriffsarbeit Bruno Latours aufscheint. Johann Gottfried Herders ästhetische Anthropologie und Timothy Mortons ökologische Schriften eint wiederum die zentrale Stellung, die in ihnen der Ästhetik als Schlüssel zu Natur und Umgebung zukommt, in Bezug auf die Rezeption ebenso wie hinsichtlich der gestalterischen Möglichkeiten des Menschen. Als vermittelnder Dritter zwischen begrifflich trennenden und ästhetisierend-analogisierenden Verfahren erscheint Johann Wolfgang von Goethe, der in einer paradoxen Wendung den Begriff des Übergänglichen für das prägte, was sich begrifflich gerade nicht fassen lässt. Mit Goethe lässt sich die Natur in Gestalt des Wetters jedoch noch auf andere Weise als eine ›übergängliche‹ betrachten. So begreift Oliver Grill die »Wetterlaunen« als paradigmatische Orte einer wechselseitigen Übertragung naturhaft-objektiven Geschehens und emotionaler Gehalte. Hinsichtlich der sozialen Funktion der Rede übers Wetter tritt schließlich eine deutliche Differenz heutiger Wetter- und Klimadiskurse zu denen um 1800 zutage: Durch deren ethische Aufladung verliert das Wetter seinen Status als »Nullwert der Sprache« (Schleiermacher) und bringt uns in Erzählprobleme. Im Anthropozän stellt sich mit Latour vielmehr die politische Frage, wo wir in der Beschäftigung mit dem Klima stehen. ———————— Die Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Hanna Hamel leitet das Projekt »Stadt, Land, Kiez. Nachbarschaften in der Berliner Gegenwartsliteratur« am ZfL. Von 2017 bis 2019 war sie mit dem Projekt »Klimatologien der beginnenden Moderne« Doktorandin am ZfL. Der Literaturwissenschaftler Oliver Grill ist seit 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der DFG-Forschergruppe »Philologie des Abenteuers« an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2017 promovierte er dort mit einer Arbeit zur »Poetik des Wetters von Goethe bis Fontane«. Oliver Grill war im Herbst 2021 zu Gast am ZfL. www.zfl-berlin.org


Weitere Informationen und umfangreichere Shownotes gibt es ggf. auf der Podcast-Website.

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