Veröffentlicht am 02.07.2024
Weder Spotify noch künstliche Intelligenz gehörten diesmal zu den Themen, die sich die Wissenschaftspodcaster*innen für ihr Jahrestreffen ausgesucht hatten. Stattdessen gab es Barcampsessions zu kritischen Fragen im Interview, Storytelling und Unabhängigkeit.
Von: Christiane Zwick
In den Räumen des freien Radiosenders "Radio Blau" in Leipzig trafen sich Mitte Juni, angereist aus Deutschland und Österreich, vierzehn Hosts von Wissenschaftspodcasts zum Gedankenaustausch. Das Besondere an diesem jährlichen Treffen: Das „GanzOhr“ ist ein Barcamp, bei dem die Teilnehmenden selbst die Themen vorschlagen, die sie interessieren und diskutieren wollen. Manche bringen Best Practices mit, andere einfach eine Frage.
Bernd Rupp, Chemiepodcaster (Wirkstoffradio) und Dominic Memmel, (Podcast S4F Leipzig) Organisatoren des Treffens, sammelten zu Beginn per Online-Whiteboard die Themenvorschläge. Die Bandbreite reichte von "Social-Media-Strategien" über "Kritische Interviews" bis hin zu "Podcast als Publikation" und „Nachhaltigkeit“. Wissenschaftspodcaster*innen haben es mit vielen Herausforderungen zu tun. Die teils proprietäre, teils zersplitterte Medienlandschaft ist nur eine davon.
Hoch her ging es in der Barcampsession "Spannend erzählen im Wissenschaftspodcast". Geologe Karl Urban, einer der Hosts von AstroGeo und Wissenschaftsjournalist beim Deutschlandfunk, warf die provokante Frage auf: "Kann man Wissenschaftsthemen in etwas gießen, was am Ende schön, allgemeinverständlich und vielleicht auch so spannend erzählt ist, dass die Leute richtig süchtig danach werden?"
Der Gedanke stand für einen Moment funkelnd im Raum. Die anschließende Diskussion zeigte, dass es in der Kommunikation von Wissen und Wissenschaft nach wie vor keinen „goldenen Mittelweg“ gibt. Verständlichkeit, Genauigkeit und Anschaulichkeit müssen immer wieder neu austariert werden. Bei Fragen, auf die Wissenschaftler*innen im Interview keine Antwort haben, plädierte Urban für eine "radikale Offenheit" bezüglich der Grenzen des eigenen Wissens - ein Ansatz, der bei den Teilnehmenden auf Zustimmung stieß.
Die Podcasterin Gudrun Thäter postulierte in ihrer Keynote zu 10 Jahren Modellansatz, dass Podcasts zu naturwissenschaftlichen Themen, wie der ihre zur Mathematik, die Aufgabe hätten, einen in der Schulzeit verloren gegangenen Kontakt zur Wissenschaft wieder herzustellen. Wo es im Unterricht hieß „Das kannst du nicht“, könne, so Thäter, „Begeisterung der Schlüssel“ für eine Wiederannäherung sein, zumal „die Digitalisierung die Menschen wieder mit Mathematik in Berührung bringt“.
Gut besucht war auch die Session zur Frage der Unabhängigkeit und Sichtbarkeit von Wissenschaftspodcasts. Das Dilemma: Einerseits wollen Wissenschaftspodcaster*innen den großen US-Konzernen aus dem Weg gehen, andererseits wollen sie dort präsent sein, wo potenzielle Hörer sind. Schließlich gilt (auch umgekehrt): „Je mehr Sichtbarkeit, desto mehr Reichweite“.
Wissenschaftspodcasts.de bietet den gemeinsamen unabhängingen Rahmen und bürgt für Qualität. Was aber nach der Wandlung von Twitter zu X fehlt, ist eine Social-Media-Plattform, auf die sich alle verständigen können, über die Neuigkeiten verbreitet werden. Das Fediverse, ein dezentrales Netzwerk unabhängiger Server und hier die Instanz Podcast.social, könnte sich neben Sendegate zu einem vertrauenswürdigen Ort im Netz entwickeln, an dem sich Podcaster informieren und unterstützen.
Im Laufe des Barcamps kristallisierten sich einige praktische Tipps heraus:
Originalität: Dr. Katrin Stuff, Historikerin und Host des Podcasts Irmimi, betonte die Bedeutung der persönlichen Note: "Das A und O ist: voll über Persönlichkeit gehen.
Mehrgleisig fahren: Viele Teilnehmende nutzen verschiedene Plattformen und empfahlen auch Youtube nicht zu meiden, um die Reichweite des eigenen Podcasts zu erhöhen.
Unabhängigkeit bewahren: Das wachsende Interesse an Open-Source-Lösungen und dezentralen Netzwerken könnte dazu beitragen, dass Wissenschaftspodcasts auch weiterhin unabhängig bleiben.
Hörer*innen mitnehmen: Zwischenfragen, gerade wenn sie "blöd" erscheinen mögen, helfen den Hörer*innen die Inhalte zu verstehen
Transparenz: Offener Umgang mit den Grenzen des eigenen Wissens, wenn sie, etwa durch eine Frage, erreicht werden.
Wer mehr erfahren oder in die Atmosphäre des GanzOhr2024 eintauchen möchte, kann sich die aktuelle Folge von Science goes Podcast anhören.
Trends, Plattformen, Storytelling: das „GanzOhr2024“
Podcast: Science goes Podcast
Erschienen: 04.07.2024
Weitere Informationen zur Episode "Beim Wissenschaftspodcast-Treffen in Leipzig"