Von der Erlösung. Lothar Bodingbauer über seinen Zugang zur Podcasterei

Veröffentlicht am 12.07.2017

Breshnew, Andropov, Tschernenko. Mit ihnen hat meine Radiowelt begonnen. Als sie 1982, 1984 und 1985 starben, brachte Radio Moskau auf Kurzwelle stundenlang schwere Musik. Das war ein bisschen gruselig. Ich habe mich als Kind gerne politisch gegruselt. Die Sendungen von Radio Moskau habe ich oft gehört, Sprachkurse, Reportagen über die Störfischerei in Astrachan. Auf Deutsch. Die Stimme des Iran. Stimme der Anden. Alles so Stimmen.

Ich bin in prekären Informationsumgebungen aufgewachsen. Wahrheit wurde verlautet. Beim Mittagstisch (biologisch essen), in der Schule (das ist die Hund’sche Regel), in der Kirche (Wunder geschehen, Stimmen) und eben auf Radio Moskau (hier ist die Stimme der Sowjetunion).

Meine Großeltern väterlicherseits waren Nationalsozialisten (Lehrer), die Mutter extrem religiös (Legio Mariä), der Vater Naturwissenschaftler (Sternenhimmel), die Oma hat Simone de Beauvoir gelesen. Ich musste diese Bezugspersonen gefühlt alle unter einen Hut bringen. Simone de Beauvoir glaube ich, hat mich gerettet. In ihren Memoiren schreibt sie von langen Spaziergängen, in denen sie mit Sartre geplaudert hat. Da war nämlich auch plötzlich ein Zuhören dabei. Ein Nachfragen.

Stundenlanges Reden. Das geht, wenn die Gespräche auf Inhalt, Reflexion, Diskurs und Wertschätzung aufgebaut sind.

Und dann kam Tim Pritlove. Der genau das gemacht hat. Und „Picknick am Wegesrand“, in denen sich Männer gepflegt unterhalten. Und eine ganze Gruppe von Leuten, die Formate entwickelt haben, die das Gegenteil der Stimmenverlautbarung, das Gegenteil prekärer Informationsumgebung darstellen.

Als Kind habe ich über die Anwendung der wundertätigen Medaille zur Heilung von Krankheit und Unbill Geschichten gelesen. Nach der Heilung, die Gottes Gnade bedurfte, war alles gut. Irgendwas hat dran gestunken. In meinen geheimen Versuchen, ob es noch andere Wirkmechanismen gibt, habe ich Kakteensamen in die Erde gesteckt und mit Erstaunen bemerkt, dass kein Kaktus schlüpft, sondern zwei schöne Keimblätter, aus denen sich erst nach zwei Wochen eine kleine stachelige Säule schiebt. Dann schrumpfen die Keimblätter und verschwinden. Wozu waren sie gut? Ich zeichnete den Zustand und versuchte vorherzusagen, wie der Kaktus morgen aussieht. So habe ich das wissenschaftliche Arbeiten gefunden, was mir vollständig besser gefiel als die Anwendungen der wundertätigen Medaille.

Dann habe ich Mathematik und Physik studiert. Das war spannend, arg und wild zugleich. „Herr Kollege, wir sind im Weltraum, da fallt nichts runter“, sagte der Professor zu einem Studenten, der fragte, warum der Mond nicht runterfällt. Prekäre Informationsumgebung.

Während des Studiums habe ich Radiomachen gelernt und für das Öffentlich-Rechtliche Radio Sendungen über Reiseziele, prekäre sozialpolitische Umgebungen und naturwissenschaftliche Themen gemacht. Vorbild dazu war unter anderem das schöne Feature von Radio Moskau über die Störfischerei in Astrachan. Mit Geräuschen der Wellen und Möwen. Ich habe das Meer beim Hören gerochen.

Das Radiohandwerk haben mir die Haudegen des Öffentlich-Rechtlichen Radios gezeigt. Leute, die wissen, wenn man einen OT wegwirft. Die ihrerseits beim deutschsprachigen Dienst der BBC Journalismus gelernt haben, die Politiker hart anfassen (Live platzen Luftballons am lautesten). Radiosendungen sind schön zu machen, eine Werkstattarbeit. Töne sammeln, Geschichten erzählen, Töne mischen, einen akustischen Wandteppich knüpfen, der an den im Optimalfall staunenden Hörer/innen vorbeigezogen wird.

Aber es hat ein Element gefehlt. Die gleiche Augenhöhe. Sie ist mit den Headsets der Podcaster/innen gekommen. Ich bin nicht mehr der, der das Mikrofon schwenkt, und damit Redezeit zuteilt, sondern wir reden miteinander. Das mündet in stundenlangen Gesprächen. Denen man gut zuhören kann – freiwillig – wenn einen das Thema interessiert.

Beim Radio braucht es immer eine schöne Gegenposition. Wenn sich zwei lieb haben, will man das nicht in einer Sendung hören. Bei einer Podcastepisode ist das erstaunlicherweise nicht der Fall. Bis heute ist mir nicht klar, warum beim Radio das Liebhaben nicht funktioniert, bei Podcasts schon.

Wissenschaftspodcasts sind noch eine gänzlich andere Umgebung. Jemand erzählt dir, was sie/er forscht. Herausgefunden hat. Oder herausfinden möchte. Du kannst nachfragen. Zugänge erreden. Unklarheiten klären. Informationshöhlen durch das Aufstellen von Redelampen erleuchten. Verbindungswege beschildern. All das war in den prekären Informationsumgebungen meiner Kindheit nicht der Fall, da gab es keine Metaebene. Deshalb höre ich Wissenschaftspodcasts gerne, und deshalb mache ich sie auch. Ich habe gelernt, dass man keine Angst haben muss, etwas nicht zu wissen. Weil man nachfragen kann. Weil man Fehler ansprechen kann. Ich habe bemerkt, dass ich in meinen Kakteenexperimenten in einfachem Stil das getan habe, was Naturwissenschaftler heute machen. Dass aber bei Profis völlig neue Konzepte dazu kommen, die Suche nach Stoffkreisläufen, nach Bilanzen, Simulationen, eigene Methoden. Dass die Arbeit an den Fragestellungen einer der zentralen Punkte ist. Und es keine Schande ist, wenn man keine Antwort hat.

Das versuche ich auch an der Abendschule mit Studierenden zu bereden. Dort unterrichte ich Physik und Mathematik. Schule ist ja durch die vielen Verlautbarungen und das Autoritätsgefälle eine prekäre Informationsumgebung, die ich aber mit den Methoden der Podcasterei extrem spannend kombinierbar finde. Das, was ich in den Podcasts erfahre, die ich mache, die ich höre, erzähle ich teilweise am selben Abend in der Schule. Podcasts eignen sich auch für Fernstudienaufgaben, weil die Erwachsenen an der Abendschule auch immer irgend etwas tun müssen, Haushalt führen, arbeiten, und so können sie mit Wissenschaftspodcasts gleichzeitig dabei lernen.

Heuer ist es mir erstmals gelungen, Planungsgespräche von Lehrer/innen als Podcast zugänglich zu machen. Wir arbeiten an themenorientiertem Unterricht. Die Fächer treten in den Einführungsgegenständen in den Hintergrund, Themen in den Vordergrund. Was man dabei bereden kann, tun die beteiligten Lehrer/innen in wöchentlichen Podcasts (Schulgespräche), die der Außenwelt bereitgestellt werden. Weil es geht. Darauf bin ich sehr stolz. Das war nicht leicht zu machen, Informationen, die nach außen gehen – das sind wir in der Schule nicht gewohnt.

Was ich selbst an Podcasts regelmäßig höre ist Omega Tau, die Themen passen gut zu meinen Interessen. Dann das philosophische Radio von WDR 5, das es schafft, das podcasterisches Reden in den schönen Zeitrahmen von Radiosendungen zu bringen. Und das Medienmagazin @mediasres vom Deutschlandfunk. Weil hier prekäre Informationsumgebungen beleuchtet und hinterfragt werden. Diese drei schaffen es direkt in meine Hörliste bei Castro. Den Rest nach Lust und Laune. Zeitsprung, Zeit für Wissenschaft, CRE, Forschergeist, Schöne Ecken, Wrint. Lila Podcast. Und viel andere. Oft blank zufällig ausgewählt, um Neues zu erfahren. Ich mag die Menschen, die sie machen, ich mag die Art, wie sie Gespräche führen. Ich mag die Inhalte.

Das Arge ist, ich hätte Podcasts selbst nicht erfinden können. Genau so wenig, wie ich ein Schriftsteller bin, der neue Geschichten erfindet. Wie jemand, der komödienartig lustig ist. Ich wirke nicht gut auf Video. Ich bin eher ein Dokumentarredner auf Augenhöhe. Das mag ich. Podcasts eben.

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Lobster und Tentakel

Sprechkontakt mit Bildung

Sendungen über Themen der Bildung, Gesellschaft, Schule, Unterricht und Wissenschaft. Gespräche mit Menschen, die etwas Besonderes darüber wissen. Ein Podcast für alle Zuhörer, der sich im besonderen auch an Lehrerinnen und Lehrer wendet, Eltern, Menschen aus Bildungspolitik und Schulentwicklung.

Zuletzt aktualisiert: 10.04.2024

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Die Physikalische Soiree ist eines von vielen Podcastprojekten von Lothar Bodingbauer. Zu finden sind sie unter: http://www.sprechkontakt.at
Lothar Bodingbauer (re.) bei der Aufnahme
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