Der Podcast mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Welt vor hundert Jahren
Aus dem Kiez in die Welt, von der Oper in den Boxring – mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Hauptstadtpresse heute vor 100 Jahren tauchen wir ein in die Fragen und Debatten, die das Berlin von 1920 bewegten. Halte dich informiert und bleib auf dem Laufenden über eine Welt, die uns heute doch manchmal näher ist, als man meinen möchte.
Mit Dank an Andreas Hildebrandt und Anne Schott.
7. Dezember 1923
Nach bald vier Jahren Auf den Tag genau lässt sich festhalten: Nur wenigen Zeitungsgenres merkt man die Distanz eines Jahrhunderts so stark an wie den Modeartikeln. Die Kleidungsetikette der 1920er Jahre unterschied sich radikal von den unseren, wie auch der nachfolgende Artikel aus der B.Z. am Mittag vom 7. Dezember 1923 unzweideutig dokumentiert: Heutzutage nur mehr in wenigen Kleiderschränken überhaupt noch vorhanden und, wenn, seltenen, sehr formellen Anlässen vorbehalten, galt der „Smoking“ vor einhundert Jahren noch als vergleichsweise legeres Kleidungsstück für private Feierlichkeiten, mit dem man, wie wir erfahren, auch sehr gerne experimentierte und mit Änderungen am Detail Distinktion herstellte. Wie Mann solche Extravaganzen in Tagen finanzierte, in denen schon die Tageszeitung 150 Milliarden Mark kostete, verrät der Artikel nicht. Alles Weitere erzählt uns Frank Riede.
Erschienen: 07.12.2023
Dauer: 00:07:46
Weitere Informationen zur Episode "Der revolutionäre Smoking"
6. Dezember 1923
Die alte Berliner Philharmonie befand sich zwar an der Bernburger Straße im Bezirk Kreuzberg, aber wenn einer der größten Virtuosen seiner Zeit dort konzertierte, schickte natürlich auch das Friedenauer Tageblatt einen Berichterstatter: Fritz Kreisler hatte mit dem Violinspiel bereits für einige Jahre aufgehört, nachdem ihn die Wiener Philharmoniker bei einem Vorspiel abgelehnt hatten, als er im Alter von schon Mitte zwanzig doch noch eine Solokarriere startete, die ihn zu einem der gefragtesten, wiewohl auch umstrittensten Interpreten seines Instruments auf dem Globus machte. Auch in seiner Wahlheimat Berlin – aus der die Nazis den gebürtige Wiener wegen seiner jüdischen Herkunft später vertreiben sollten – wurde Kreisler gefeiert, wie wir von dem mit den Initialen R.B. zeichnenden Rezensenten erfahren. Mit einem Kaufpreis von 120 Milliarden Mark war eine Stadtteilzeitung wie das Friedenauer Tageblatt übrigens kaum billiger als die großen Flaggschiffe der Hauptstadtpresse. Dass es trotzdem lohnte und lohnt, sie zu lesen, untermauert Paula Rosa Leu.
Erschienen: 06.12.2023
Dauer: 00:06:08
Weitere Informationen zur Episode "Einer der großen Geigenvirtuosen: Fritz Kreisler"
5. Dezember 1923
Um zu wissen, dass die Winter in unseren Breiten noch vor nicht allzu langer Zeit im Durchschnitt deutlich länger, härter und schneereicher ausfielen als heutzutage, reicht es schon, so alt wie die Mitglieder der Auf den Tag genau-Redaktion zu sein, die sich noch gut an lange Kindertage auf zugefrorenen Seen und üppig weißen Rodelpisten erinnern können. Blicke in die Zeitungen von vor einhundert Jahren bestätigen diesen Befund erst recht. Die monatelange Eiseskälte schlägt einem dort nicht nur im Zusammenhang von Energieknappheit, Heiznotstand und sonstigen sozialen Themen bald über ein Drittel des Jahres thematisch geballt entgegen. Zahlreiche Artikel künden Jahr für Jahr umgekehrt auch von den wintersportlichen Freuden, die die kalte Jahreszeit ermöglicht und weite Teile des Berliner Umlandes, wie wir aus der 200 Milliarden Mark schweren Vossischen Zeitung vom 5. Dezember 1923 erfahren, seinerzeit in veritable Skigebiete verwandelte. Paula Rosa Leu hat sich für uns auf die Bretter gestellt.
Erschienen: 05.12.2023
Dauer: 00:10:25
4. Dezember 1923
Das Romanische Café an der Stelle des heutigen Europa-Centers zählte in den 1920er Jahren zu den legendären Berliner Künstler-Lokalen und Bohème-Treffpunkten. In unserer heutigen Podcast-Folge ist es indes Schauplatz einer schnöden Intrige zwischen Eheleuten, die in Moabit vor Gericht endet. Während sich der – mutmaßlich männliche – Autor der kleinen Glosse dabei über die vorgebliche Unmoral der modernen Frauenwelt empört, wirkt aus heutiger Perspektive eher die Doppelmoral und das sich in diesem Urteil transportierende misogyne Weltbild empörend. Bei Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss im Rosenkavalier übrigens erfährt eine ähnliche Geschichte eine ganz andere Bewertung. Aber diese spielt ja auch in Wien und nicht in Berlin, wo man, um von ihr zu lesen und sich zu empören (oder auch nicht), für ein 8-Uhr-Abendblatt am 4. Dezember 1923 weiterhin 150 Milliarden Mark hinlegen musste. Oder man ging in ein Zeitungscafé, wie das Romanische, und las die Zeitung dort. Für uns hat dies Frank Riede getan.
Erschienen: 04.12.2023
Dauer: 00:07:34
Weitere Informationen zur Episode "Liebesfalle Romanisches Café"
3. Dezember 1923
Das pulsierende und beschleunigte Leben in einer Metropole des 20. Jahrhunderts faszinierte zahlreiche Künstler:innen und reizte sie, diesen Rhythmus der Großstadt künstlerisch, filmisch, sprachlich einzufangen. Gar nicht selten ging der Blick aber an den Rand des quirligen und unübersichtlichen Betriebes, an den frühen Morgen, wenn das Nachtleben verstummt war und der Arbeitsalltag noch nicht begonnen hatte, um dem Erwachen der Großstadt beizuwohnen. Im Vorwärts vom 3. Dezember 1923 finden wir einen journalistischen Text, dessen Autor Karl Suckert mit einem Nachtzug in das noch größtenteils schlafende Berlin einfuhr. Aus der - für den im Dezember 1923 vergleichsweise günstigen Preis von 70 Milliarden Mark zu erwerbenden - Ausgabe liest für uns Paula Rosa Leu.
Erschienen: 03.12.2023
Dauer: 00:06:18
2. Dezember 1923
Der Flug zu den Planeten mittels einer Rakete war in der Literatur schon angekommen, lange bevor irgendein Land ein Raumfahrtprogramm aufgesetzt hatte. Auch der Film hat einen solchen Flug bereits mehrfach dargestellt: ganz prominent Georges Méliès und seine “La voyage dans la lune” von 1902. Im Jahre 1929 drehte Fritz Lang den Klassiker “Frau im Mond”, der die meiste Zeit in der Rakete und auf dem Mond spielt. Dabei wurde Lang vom Pionier der Raumfahrttechnik Hermann Oberth beraten. Also: Wo befanden sich 1923 technisch die Ingenieure und Naturwissenschaftler auf dem Weg zur bemannten Raumfahrt? Die Antwort gibt die Deutsche Allgemeine Zeitung vom 2. Dezember, die vor allem im Rückgriff auf das Werk “Die Rakete zu den Planetenräumen” des bereits erwähnten Oberth künftige Möglichkeiten für Raketenflüge auslotet – und dies zu den astronomisch hohen Kosten von 250 Milliarden für die Ausgabe preisgibt. Uns informiert Frank Riede wie sich Oberth die Weltraumflüge vorstellte, nach dem heute der Oberth-Effekt für treibsstoffsparende Flugmanöver benannt ist.
Erschienen: 02.12.2023
Dauer: 00:07:30
Weitere Informationen zur Episode "Mit einer Rakete zu den Planeten"
1. Dezember 1923
Seit Ende Oktober 1923 der erste Unterhaltungsrundfunk Deutschlands aus dem Berliner Vox-Haus seinen Betrieb aufnahm, finden sich nun regelmäßig und gehäuft Artikel zum Radio in den Zeitungen, die zunächst auch damit konfrontiert sind, dass es noch keine professionelle Radio-Kritik gibt. Als eine der ersten reagierte die BZ am Mittag und richtete eine neue Zeitungsseite „Radio – BZ“ ein. In ihrer Ausgabe vom 1. Dezember, die für 100 Milliarden zu erwerben war, sehen wir, dass die Aufmerksamkeit für das neue „Massen“-Medium schnell zu der Feststellung führte, wie sehr die Nachbarn, konkret England, Deutschland auf dem Gebiet voraus waren. Die BBC hatte bereits ein Jahr zuvor ihre regelmäßigen Übertragungen begonnen und sendete weit mehr als nur eine Stunde täglich. Paula Rosa Leu schlägt die BZ am Mittag auf und hört sich für uns durch die englischen Programme.
Erschienen: 01.12.2023
Dauer: 00:08:51
Weitere Informationen zur Episode "Vor dem Empfänger: Die BBC"
30. November 1923
Es war mal wieder soweit: Die Regierung Stresemann war Ende November 1923 wegen einer abweichenden Haltung der SPD zu den zurückliegenden Vorgängen in Sachsen und Bayern am Ende, und die Republik suchte bereits zum zehnten Mal in nur fünf Jahren nach einer neuen Regierung. Nachdem verschiedene Kandidaten bei deren Bildung gescheitert waren, gelang es schließlich dem Zentrums-Vorsitzenden Wilhelm Marx ein Minderheitenkabinett zu schmieden, welches aus Mitgliedern seiner Partei, der Deutschen Volkspartei Stresemanns, der Bayerischen Volkspartei sowie der Deutschen Demokratischen Partei bestand. Für Letztere saß seinerzeit u.a. Hermann Pachnicke im Reichstag, der die großen Herausforderungen, vor denen die neue Reichsregierung stand, im 8-Uhr-Abendblatt vom 30. November prägnant skizzierte. Der Preis, den diese Zeitung hatte, versinnbildlicht den Ernst der Lage: 120 Milliarden Mark. Das Wort hat Frank Riede.
Erschienen: 30.11.2023
Dauer: 00:11:19
Weitere Informationen zur Episode "Das Kabinett Wilhelm Marx"
29. November 1923
Wer am 29. November 1923 eine Abendausgabe des Berliner Tageblatts erwerben wollte, musste dafür auch weiterhin 100 Milliarden Mark berappen. Wieviel eines der Gemälde von Ernst-Ludwig Kirchner oder von Max Pechstein, die damals in der renommierten Galerie Cassirer zum Verkauf standen, kostete und welche Währung hier überhaupt akzeptiert worden wäre, verrät der Artikel über diese Schau im Inneren der Zeitung nicht. Rezensent Fritz Stahl beschränkt sich in seiner Betrachtung auf die ästhetischen Aspekte der Exponate und findet dabei zu den für ihn typischen klaren, aber doch differenzierten Urteilen. Die Rückkehr der Künstler zur ‘Landschaft‘ bewertet er auf alle Fälle positiv, verrät seinem zeitgenössischen Publikum wie uns Nachgeborenen indes leider nicht, welche Bilder damals konkret zu sehen waren. Alle Pinselstriche seiner ergo eher ins Grundsätzliche zielenden Argumentation vermittelt uns: Frank Riede.
Erschienen: 29.11.2023
Dauer: 00:09:38
Weitere Informationen zur Episode "Kirchner und Pechstein bei Cassirer"
28. November 1923
Bei keinem Thema herrscht parteiübergreifend solch eine Einigkeit wie beim Thema Bildung. Es sei Deutschlands wichtigste Investition in die Zukunft und der Schlüssel zum Wohlstand. Interessanterweise ist es auch der Bereich, der sich konstant im Krisenmodus befindet und in dem ein enormer Handlungsbedarf herrscht. Angesicht von Lehrermangel, maroder Infrastruktur und schleppender Digitalisierung kommt einem die Klage darüber, dass das Schulsystem auf eine Katastrophe zusteuert, die wir in der Berliner Volkszeitung vom 28. November 1923 finden, irgendwie bekannt vor. Auf einer ganzen Seite werden dort unter der Überschrift „Die Schule stürzt“ mehrere alarmierende Artikel versammelt, von denen wir nun den Beitrag des „Junglehrers“ Adolf Koch hören. Die BVZ musste an dem Tag für 120 Milliarden Mark gekauft werden. Es liest Frank Riede.
Erschienen: 28.11.2023
Dauer: 00:07:59
Weitere Informationen zur Episode "Die Schule steuert in die Katastrophe"