Podcast "tl;dr"

Der Theoriepodcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung Too long, didn’t read – so geht es einigen beim Anblick der Klassiker linker Theorie. Die über zweitausend Seiten langen Gefängnishefte von Antonio Gramsci, die komplizierten Schinken von Marx oder Edward Said – wenn ihr keine Zeit habt, die Bücher alleine durchzuackern oder eine Einführung sucht, dann hört euch den Theoriepodcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung an. Durch den Podcast führt Alex Demirović. Der Professor für Politikwissenschaft an der Uni Frankfurt ist Vertreter der kritischen Theorie und Kenner sämtlicher linker Standardwerke. In jeder Folge stellt Alex Demirović Schlüsselwerke der linken Theorie vor. Es werden die zentralen Thesen der Werke und ihre heutige Relevanz diskutiert. Die Spannbreite liegt dabei vom klassischen Marxismus, Kritischer Theorie, Feminismus, antikoloniale Theorie, Poststrukturalismus bis hin zu Hegemonietheorie und Existenzialismus. Prof. Alex Demirović gibt euch in kurzen Vorträgen eine Einführung in die Biografie der Theoretiker*innen und fasst die zentralen Thesen zusammen. Anschließend diskutiert Alex Demirović in jeder Folge mit einem Gast über das Werk und seine Relevanz für aktuelle politische Kämpfe.

Podcast-Episoden

tl;dr #36: Frigga Haug: «Die Vier-in-einem-Perspektive» mit Katja Kipping

Frigga Haug ist eine der bekanntesten marxistischen Feministinnen. Sie analysiert Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse. In vier Bereichen: Ökonomie, Politik, Kultur und in den Möglichkeiten zur Selbstentfaltung werden Frauen unterdrückt, wird ihre Arbeitskraft von Männern angeeignet und wird über ihre Körper und Sexualität verfügt. Die Vorstellung, wonach es einen Haupt- und einen Nebenwiderspruch gebe, eine Schrittfolge der Emanzipation erst durch die Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, dann erst des Patriarchats – oder umgekehrt - kritisiert Haug. Die Kämpfe gehen zusammen, und diesen Zusammenhang will sie denken: die Produktion der Lebensmittel und die Produktion des Lebens sollen nicht gegeneinandergestellt werden. Beides lässt sich aber auch nicht auseinander ableiten. Die patriarchale Unterdrückung und die kapitalistische Ausbeutung verstärken sich wechselseitig. Dies wird ermöglicht durch die Arbeitsteilung, durch die Trennungen jener vier Bereiche, die die Frauen auf die Sphäre des Privaten, der Familienarbeit begrenzt und vom Öffentlichen getrennt haben. Politische Kunst soll diese Trennungen überwinden, so dass die Individuen durch radikale Verkürzung der Erwerbsarbeit Zeit für Care-Arbeit, politische Arbeit und Arbeit der Selbstentfaltung haben. Frauen zu stärken, so dass sie selbst handlungsfähig werden und sich ihre Erfahrungen erschließen und alles Wissen aneignen, das sie für ihre Emanzipation benötigen – darauf zielt Haug, wenn sie die Verwirklichung von Gleichheit, Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit einfordert. Zu Gast bei Alex Demirović ist in dieser Folge Katja Kipping, die bis 2023 für die Partei „Die Linke" Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales war und mit Frigga Haug und anderen Frauen unter dem Namen „Die Dialektikfrauen" einen Austausch pflegte.

Erschienen: 02.04.2024
Dauer: 00:57:13

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tl;dr #35: Jacques Derrida: «Grammatologie» mit Joseph Vogl

Jacques Derrida bezeichnet mit der Begriffsschöpfung «Grammatologie» die Wissenschaft der geschriebenen Schrift. Der 1967 veröffentlichte Text ist ein zentrales Werk des Poststrukturalismus und begründet damit das Lektüre- und Analyseverfahren der Dekonstruktion. Derrida galt als der weltweit bekannteste zeitgenössische Philosoph. Die tiefe Verankerung für das metaphysische Denken des Abendlands und herrschaftlichen Strukturen sieht Derrida in der alphabetischen Schrift. Ein Novum, denn in der philosophischen Tradition seit Platon wird die Schrift allgemein abgewertet. Sie soll nur Abbildung des Wortes sein, das gesprochene Wort drücke die Seele und den Sinn, die Bedeutung der Wirklichkeit aus. Dabei gerät die Praxis der Schrift und des Schreibens als materielle Praxis aus dem Blick. Doch was passiert in einer Zeit von neuen materiellen Praktiken des Schreibens? Was kritisiert Derrida als Phonologozentrismus? Wie konzipiert er den Begriff Différance? Welche Grundlagen für kritisches Denken hat Derrida gelegt, die heute für emanzipatorische Analyse und Praxis notwendig sind? Im Gespräch mit Alex Demirović ist Joseph Vogl, emeritierter Professor für Neuere deutsche Literatur, Kulturwissenschaft/Medien der Humboldt-Universität zu Berlin.

Erschienen: 05.03.2024
Dauer: 01:01:38

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tl;dr #34: Joachim Hirsch, Roland Roth: «Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus»

Alex Demirović im Gespräch mit Birgit Sauer

Der Kapitalismus muss sich zwanghaft erweitert reproduzieren: immer mehr Kapital akkumulieren und verwerten. Dabei stößt er auf Widerstände und erzeugt Krisen. In ihrem Buch «Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus» verfolgen Joachim Hirsch und Roland Roth einen materialistischen Ansatz und untersuchen die Identität der kapitalistischen Entwicklung: Was bleibt, was setzt sich durch? Sie untersuchen die Krise des fordistischen Modells ab den 1970er Jahren. Die Lohnabhängigen werden erkämpfen einen höheren Anteil am Mehrwert und die Profitrate sinkt. Hirsch/Roth beschreiben, wie sich eine neue Form der Regulation herausbildet, die als Postfordismus charakterisiert werden kann. Doch wie sieht diese Regulationsweise aus? Welchen Einfluss auf die Lebensweise, die Familien- und Frauenbilder hat es? Wie entwickelt sich das Verhältnis der Arbeiter*innen zum Produktionsprozess? Wie wird die Macht der Arbeiter*innen in Betrieb und Gesellschaft zurückgedrängt? Wie entwickeln sich neue Formen der Disziplinarmacht? Wie wird Zustimmung zu der Leitideologie organisiert? Diese Fragen stehen im Zentrum vieler Überlegungen dieser Zeit, die Antworten sind immer noch unabgegolten. Zu Gast bei Alex Demirović ist in dieser Folge Birgit Sauer, Professorin für Politikwissenschaft an der Uni Wien und Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bild: CC by-nc-sa www.zersetzer.com ||| ||| freie grafik Kontakt, Kritik, Feedback: theoriepodcast@rosalux.org Alle tl;dr-Folgen: https://www.rosalux.de/theoriepodcast Alle Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung: https://www.rosalux.de/podcasts

Erschienen: 30.01.2024
Dauer: 01:01:45

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tl;dr #33: Wolfgang Abendroth: «Sozialer Rechtsstaat»

Alex Demirović im Gespräch mit Frank Deppe

«Partisanenprofessor im Lande der Mitläufer» wurde Wolfgang Abendroth von Jürgen Habermas genannt. Er war im Widerstand gegen den Faschismus aktiv, wurde gefoltert und verbrachte Jahre in Haft und im berüchtigten Strafbataillon 999, desertierte 1944 zur griechischen Widerstandsbewegung. Als Sozialist, Politik- und Rechtswissenschaftler war er in der Arbeiterbewegung und in der Akademie aktiv. Abendroth wurde aus der KPD und SPD ausgeschlossen, versuchte sich aber Zeit seines Lebens am linken Flügel der Arbeiterbewegung zu verankern. Er war Begründer der «Marburger Schule» und entwickelte Konzepte zur Demokratisierung der Hochschulen und prägte die Debatte um die Betriebsverfassung und Sozialstaatlichkeit. Er war auch politischer Chronist der Gewerkschaftsbewegung. Im vorliegenden Theoriepodcast diskutieren wir Abendroths Gedanken anhand des 1954 verfassten Textes «Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland». Zu Gast bei Alex Demirović ist Frank Deppe, emeritierter Professor für Politikwissenschaft in Marburg und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mehr zu Wolfgang Abendroth und viele Aufzeichnungen seiner Vorlesungen und Vorträge unter: https://wolfgangabendroth.org/ Der besprochene Text findet sich hier: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Abendroth_Sozialer_Rechtsstaat.pdf Kontakt, Kritik, Feedback: theoriepodcast@rosalux.org Alle tl;dr-Folgen: https://www.rosalux.de/theoriepodcast Alle Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung: https://www.rosalux.de/podcasts

Erschienen: 29.11.2023
Dauer: 01:05:50

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tl;dr #32: Johannes Agnoli: Die Transformation der Demokratie

Alex Demirović im Gespräch mit Michael Hewener

«Nur das organisierte Nein sprengt die Fesseln staatsbürgerlich-parlamentarischer Gleichschaltung» schrieb Johannes Agnoli 1967 in seinem Buch: «Die Transformation der Demokratie». In einer Zeit, in der die neonazistische Partei NPD in einige Landesparlamente einzog und die CDU/CSU-geführte Regierung eine Notstandsgesetzgebung vorantrieb, wurde für die sich formierende außerparlamentarische Opposition der Text ein wichtiger Bezugspunkt. Wie wird trotz parlamentarischer Verfahren antidemokratische Politik durchgesetzt? Wie werden Lohnabhängige in das System integriert? Eine Kernthese Agniolis war die Tendenz zur Entwicklung einer «Einheitspartei», ohne fundamentale Opposition. Dagegen formulierte er die Idee eines «organisierten Nein» um Freiheitsräume auszudehnen. Im Gespräch mit Alex Demirović ist Michael Hewener, er hat die Neuauflage von «Der Staat des Kapitals» von Agnoli mit herausgegeben. Kontakt, Kritik, Feedback: theoriepodcast@rosalux.org Alle tl;dr-Folgen: https://www.rosalux.de/theoriepodcast Alle Podcasts der Rosa-Luxemburg-Stiftung: https://www.rosalux.de/podcasts

Erschienen: 03.11.2023
Dauer: 00:56:12

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tl;dr #31: Siegfried Kracauer - Theorie des Films

Alex Demirović im Gespräch mit Wolfang M. Schmitt

Kracauer war, bevor er von den Nazis ins Exil gezwungen wurde, einer der großen Filmkritiker der Weimarer Republik. 1960 legte er sein theoretisches Hauptwerk zum Film vor. Es trug den bezeichnenden Untertitel: «Die Errettung der äußeren Wirklichkeit». Das ist nicht im naiven Sinn realistisch gemeint. Regisseur*innen sind schöpferisch, aber sie müssen, das unterstreicht Kracauer, sich im besonderen Medium des Films bewegen. Wie in der Fotografie registriert der Film die Wirklichkeit und bildet sie ab. Anders als in der sonstigen Kunst bleibt dieser Rohstoff in den Fotos und im Film erhalten; aber das Kamera-Auge entdeckt auch Wirklichkeit, die das bloße Auge nicht sieht. Vor allem kann der Film den Fluss des Lebens darstellen, also den Alltag, die Eigenart von Gebärden, die Zufälle von Begegnungen, die Treffpunkte vieler Menschen: Bahnhöfe, Flughäfen, Straßen. Die Massen, der schnelle Ortswechsel, das Nachspüren zeichnen den Film aus. Für Kracauer ist der Film materialistische Praxis: von unten, nah am Detail, verankert im Alltag. Das meiste, was in die Kinos kommt, hält Kracauer für Kulturwarenproduktion, sie ist Gegenstand der Ideologiekritik, nicht Gegenstand seiner materialen Ästhetik. Seinem programmatischen Anspruch entsprechen nur wenige Filme, solche von Chaplin, Eisenstein, de Sica, Fellini, Hitchcock. Vom Film erwartet Kracauer, dass er uns wie ein Spiegel den indirekten Blick auf die Ungeheuerlichkeiten und Grausamkeiten der bürgerlichen Welt erlaubt; er hofft aber auch darauf, dass der Film ein neues Verhältnis zur gemeinsamen Erde der Menschen stiften und, weil er ihnen ihren gemeinsamen Alltag erschließt, zur Einheit der Menschheit beitragen kann. Zu Gast bei Alex Demirović ist in dieser Folge der Filmkritiker, YouTuber und Podcaster Wolfang M. Schmitt.

Erschienen: 29.09.2023
Dauer: 01:09:43

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tl;dr #30: Karl Marx - Das Kapital, Bd. 1

Zu Gast bei Alex Demirović ist Sabine Nuss

«Es ist sicher das furchtbarste Missile, das den Bürgern an den Kopf geschleudert worden ist» schrieb Marx über das Buch, das unter dem Titel: «Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals» 1867 in Hamburg erschienen ist. Marx analysiert in ihm die grundlegenden Prozesse der kapitalistischen Produktionsweise. Er beginnt mit der Ware als Elementarform des Kapitalismus. Es folgt die Entstehung des Geldes als allgemeines Tauschmittel, der Arbeitsprozess und die Mehrwertbildung durch die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft, aber auch die ursprüngliche Akkumulation, wie Marx die Entstehungsphase des Kapitalismus benennt. So wie Charles Darwin die Gesetze der Evolution erforschte, wollte Marx die Bewegungsgesetze der Wirtschaft analysieren und legte mit dem «Kapital» den Grundstein für eine wissenschaftliche Revolution. Die Aneignung von Arbeit durch das Kapital und der Zwang des Kapitals sich selbst zu vermehren und permanent Wachstum zu generieren, sind Grundlagen des Kapitalismus. Mit dem «Kapital» hat Marx die Grundlage gelegt um den Prozess der Klassengeschichte besser zu verstehen und deutlich gemacht, dass eine andere Form des Arbeitens und Lebens, herrschaftsfreie Verhältnisse untereinander und im Verhältnis zur Natur notwendig sind. Marx schreibt in der Einleitung «Aller Anfang ist schwer, das gilt in aller Wissenschaft» - diese Arbeit kann unser Podcast nicht ersetzen, aber wir geben einen ersten Einblick in das Werk und diskutieren zentrale Begriffe von Marx. Im Gespräch mit Alex Demirović ist Sabine Nuss, freie Journalistin und Marx-Expertin, die lange Zeit für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Marx gearbeitet hat. Wie immer freuen wir uns über Rückmeldungen von euch zur neuen Folge. Schreibt einfach an theoriepodcast@rosalux.org

Erschienen: 31.08.2023
Dauer: 01:05:17

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tl;dr #29: Maria Mies – Patriarchat und Kapital

Zu Gast bei Alex Demirović ist Christa Wichterich

Maria Mies war eine feministische Aktivistin gegen die kapitalistische Globalisierung, gegen die Kolonialisierung, gegen die Schuldenabhängigkeit der Länder des globalen Südens. Sie gründete gemeinsam mit anderen 1976 das erste autonome Frauenhaus in Köln. Das Buch «Patriachat und Kapital», dass 1985 zuerst auf Englisch, dann 1988 auf Deutsch erschienen ist, vermittelt einen Eindruck von ihrer erdumspannenden Perspektive und ihrer politischen Arbeit. Entschieden vertritt sie in Wissenschaft und Politik einen feministischen Standpunkt. Das Patriarchat geht dem Kapitalismus voraus, dieser setzt auf höherem Niveau patriarchale Herrschaftsverhältnisse fort. Die ökonomische, sexuelle Ausbeutung und Unterdrückung der Frauen durch die Männer ist die Grundlage der Kapitalakkumulation. Ein Erfolg kapitalistischer Herrschaft ist es, die Frauen im globalen Norden zu «hausfrauisieren» und ihrer Freiheit zu berauben, während die Frauen im Süden in die Sklaverei gezwungen werden. Die Arbeiter, selbst unterworfen und ausgebeutet, werden auf diese Weise an die Seite des Kapitals gezogen. Für Maria Mies kommt historisch im Kapitalismus alles zusammen: Eine Ganzheit von Herrschaftspraktiken der herrschenden Männer verwandeln die Frauen, die Natur, die Regionen des Südens in Kolonien. Die Kämpfe gegen diese historische Form von Gewalt bilden eine innere Einheit. Für Maria Mies geht es darum, dass die Frauen die Selbstbestimmung über ihren Körper, über ihre Sexualität, über ihre Reproduktionsrechte erobern. Auf diesem Weg würden zentrale Pfeiler auch der kapitalistischen Reproduktion in die Krise geraten. So ist nicht verwunderlich, wenn auch heute und immer wieder herrschende Kräfte sich so erbittert dieser Emanzipation entgegenstellen. Alex Demirović ist im Gespräch mit Christa Wichterich, sie ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Wissens-Aktivistin und feministische Soziologin, die viele Jahre ihres Berufslebens in Indien und Ostafrika gearbeitet hat. Zuletzt arbeitete sie an Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz als Gastprofessorin für Geschlechterpolitik. Alle Podcast-Folgen findet ihr hier: https://www.rosalux.de/theoriepodcast Lob und Kritik gerne an theoriepodcast@rosalux.org

Erschienen: 31.07.2023
Dauer: 01:00:28

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tl;dr #28: Herbert Marcuse – Der eindimensionale Mensch

Zu Gast bei Alex Demirović ist Thomas Ebermann

Die Begriffe der «Negation» und der «großen Verweigerung» sind zentral zum Verständnis des Theoretikers Herbert Marcuse, der seit Mitte der 1960er Jahre durch die Bewegung der Neuen Linken weltweit bekannt wurde. Seine Bücher haben zur politischen und philosophischen Bildung und zu den strategischen Diskussionen mehrerer Generationen von Aktivist*innen beigetragen, auch weil sich Marcuse eng mit der Studierendenbewegung verbunden hat. Marcuse diagnostiziert der kapitalistischen Entwicklung, dass die Integration der Arbeiterklasse dazu führt, dass die kapitalistische Gesellschaft in ihrem Kernbereich keine Opposition mehr kennt. Die kritische, marxistische Theorie findet keine Grundlage in den Verhältnissen. Alles gerät in den Sog der Warenproduktion und Profitmaximierung. Bedürfnisse, Kunst, Denken, Sprache - alles folgt letztlich der Logik der technologischen Rationalität. Er analysiert, wie der permanente Konsum die Bedürfnisse deformiert und letztlich das Leben auf dem Planeten bedroht. Im Ergebnis herrscht ein eindimensionales Verständnis von Reichtum: Waren und mehr Geld. Dagegen plädiert Marcuse für die «große Verweigerung». Viele verstanden darunter den Ausstieg aus der Gesellschaft in der Alternativbewegung, doch ist das tatsächlich gemeint? Marcuse analysiert und kritisiert den Kapitalismus in seiner damals ausgeprägten Form und nimmt ihm jeden Schimmer von Nostalgie an die «guten alten Zeiten» des Fordismus. Das Buch endet mit dem Benjamin-Zitat: «Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben». Wie kann Marcuse heute bei der Analyse und Kritik der Verhältnisse helfen? Dies diskutiert Alex Demirović mit Thomas Ebermann, Publizist und Theatermacher, der unter anderem mit dem Stück «Der eindimensionale Mensch wird 50» auf Tour ging. Er war auch mal Politiker, aber «andere fanden sich in der Rolle besser zurecht». Thomas Ebermann legt im Gespräch dar, weshalb die Negation eine Grundbedingung linker Politik sein sollte. Alle Podcast-Folgen findet ihr hier: https://www.rosalux.de/theoriepodcast Lob und Kritik gerne an theoriepodcast@rosalux.org

Erschienen: 11.07.2023
Dauer: 00:57:39

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tl;dr #27: Beverly J. Silver - Forces of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870

Alex Demirović im Gespräch mit Nicole Mayer-Ahuja

Die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung wurde in den 1990er Jahren von prominenten deutschen Sozialwissenschaftlern wie Ulrich Beck oder Wolfgang Streeck totgesagt. Die politische Diskussion stand unter dem Eindruck der Anpassung an die Sachzwänge des Weltmarkts und den Angriffen der Neuen Mitte auf den Wohlfahrtsstaat. Dem stellte sich eine breite Allianz von Gewerkschafter*innen, Frauen, Umwelt- und Studierendengruppen 1999 mit Protesten in Seattle gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation und das Projekt der Globalisierung entgegen. Es war ein Aufbruchssignal, auf das sich auch Silver bezieht. Dass die Kämpfe der Arbeiter*innenbewegung nicht zu Ende sind, ist das zentrale Argument von Silvers Buch, das Weltsystemanalyse und Postoperaismus produktiv für die Forschung der Entwicklung der Weltarbeiter*innenklasse miteinander verbindet. Globalisierungsprozesse bestimmen wellenförmig die kapitalistische Produktionsweise seit dem 19. Jahrhundert. Um seine Profitabilität zu erhalten, weicht das in einer Industrie angelegte Kapital von Region zu Region aus: in der Automobilindustrie seit den 1920er Jahren von den USA nach Westeuropa, von dort nach Brasilien, Mexiko und Japan. In der Aufstiegsphase einer Welle macht das Kapital weitreichende Zugeständnisse. Diese senken die Gewinne, das Kapital sucht nach neuen Standorten. Mit der Verlagerung der Produktion wird auch der Konflikt verlagert. In der Folge sinken die Profite erneut. Das Kapital bemüht sich um neue Lösungen seiner Profitkrise. Eine Strategie ist das, was Silver als technologisch-organisatorischen Fix bezeichnet, die Entwicklung neuer betrieblicher Herrschaftsformen. Damit einher gehen neue Formen des Kampfes. Eine andere Strategie ist die Verlagerung auf andere Produkte und Industriezweige. Historisch untersucht Silver das anhand der Verlagerung von der Textil- zur Automobilindustrie. Sie zeigt, wie die Prozesse der Profiterzielung und die Kämpfe dagegen sich wiederholen und ähnliche Muster bilden. Seit Ende des 20. Jahrhunderts steht der Kapitalismus vor einer neuen Welle. Es bildet sich ein neuer Produktfix: Halbleiter, Dienstleistungen, Logistik, Bildung – und neue Kämpfe entstehen. Silver kann nicht sagen, welche neue Leitindustrie sich bildet. Aber sicher ist: es gibt kein Ende der Arbeiter*innenbewegung, sondern eine Änderung der Klasse und Kampfformen. Zu Gast bei Alex Demirović ist Nicole Mayer-Ahuja, Professorin für Soziologie an der Georg-August-Universität Göttingen.

Erschienen: 08.06.2023
Dauer: 01:03:17

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